Ich erinnere mich noch ganz genau, als ich ein kleiner Junge war: Die Dinosaurier waren gerade ausgestorben (bis auf den allerletzten zähen T-Rex, der unter meinem Bett lebte). Genauso alt und fast ausgestorben war für mich mein Kinderarzt. Ich habe ihn damals auf etwa einhundertzwanzig Jahre geschätzt. Er sah ein wenig aus wie ein Teddybär: Ein fülliger, weißhaariger, trostspendender Knuddelbär. Wenn ich mal krank war, konnte ich mich darauf verlassen, dass der Doktor wenig später beim Hausbesuch (ja, sowas gab es noch!) vor meinem Bett stehen würde. Irgend eine Melodie pfeifend drückte er mir dann einen Holzstab auf die Zunge und ließ mich unendlich lang „AAAAAAAAH“ sagen. Nachdem er mich mit seinem eiskalten Stethoskop abgehört und seinen uralten Händen abgeklopft hatte, klappte er stets die Arzttasche zu und sagte mit ernster Miene und tiefer Stimme etwas wie: „Das sind die Masern. In ein paar Tagen sind die weg!“ (und wenn der Doktor, der weise Onkel mit dem Stethoskop, etwas versprach, dann hielt die Natur sich da auch dran). In wenigen Tagen waren die Beschwerden auch weg. Bis heute prägt mich das kindliche Urvertrauen, das der Doktor mir vermittelte. Ob Ärzte, Priester oder Piloten: Ich möchte mich älteren Menschen anvertrauen. Heute bin ich vielleicht schon älter, als mein Doktor in meiner Kindheit. Und damit wahrscheinlich schon um einiges älter, als er – Gott hab ihn selig – damals in Wirklichkeit war. Meine langjährige Patientenphilosophie, nur auf Mediziner mit mindestens dreißig Jahren mehr Lebensweisheit zu hören, stößt an ihre Grenzen – sofern ich nicht gerade meinen alten Hausarzt auf unserm Stadtteilfriedhof besuche. Es führt kein Weg daran vorbei: Ich muss meine Ansprüche fürs bedingungslose Vertrauen in steinalte Menschen ein wenig herunter schrauben – zehn Jahre Altersunterschied zu Experten, denen ich nicht weniger als mein Leben anvertraue, müssen aber immer noch sein. Mindestens! Kennt noch jemand Quincy? So einen Arzt wünsche ich mir: Natürlich so alt, wie er jetzt ist, damit es alterstechnisch wieder hinkommt. Wobei … Der hat ja Tote behandelt. Vielleicht also doch lieber nicht. Dann schon besser Kollege „Dr. Dressler“ aus der „Lindenstraße“. Der ist ein super Arzt. Fünfundsiebzig Jahre alt und seit 1 386 Folgen Mediziner. Dr. Dressler, der mich wie damals mein Kinderarzt als kleinen Jungen vor meinem Bett mit dem eiskalten Stethoskop abhört, mit seinen faltigen Händen abklopft – und am Ende die Arzttasche zuklappt und mit ernster Miene und tiefer Stimme etwas sagt wie: „Tja, das ist die Säuferleber. In vier Tagen ist die weg!“