Die alternde Gesellschaft

Die alternde Gesellschaft ist in aller Munde. Niemand kann mehr die Augen davor verschließen, dass in Zukunft gewaltige Aufgaben der Versorgung und Pflege hochbetagter Menschen auf die Gesellschaft zukommen. Aufgaben, die in der Geschichte der Menschheit beispiellos sind. Bereits im Jahre 2030 werden wir etwa 58 Prozent mehr Pflegebedürftige haben. Ihre Zahl dürfte dann von heute 2,1 Millionen auf 3,4 Millionen gestiegen sein. Ursache für diese Zunahme ist die steigende Zahl an Älteren bei insgesamt sinkender Gesamtbevölkerung. Vorausgesetzt die Berechnungen des statistischen Bundesamtes treffen annähernd zu – und dafür spricht einiges -, dann nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen in dieser Altersgruppe von 1,1 Millionen auf etwa 2,2 Millionen im Jahr 2030 zu. Beispiellos ist aber auch das Engagement von Millionen Menschen, meist von Frauen aber zunehmend auch von Männern, die sich als Ehepartner, Kinder und Enkel täglich um ihre betagten Angehörigen sorgen, um ihnen ein Leben zu Hause zu ermöglichen – solange es geht. Immerhin fünf Prozent der erwachsenen Bundesbürger haben einen Pflegefall im engeren Familienkreis. Davon wieder ist ein hoher Anteil regelmäßig damit beschäftigt, bei der Verrichtung der Hausarbeit zu helfen, Einkäufe zu machen, die Wohnung sauber zu halten, den Bürokram zu erledigen und sich um die gesundheitlichen Belange ihrer Angehörigen zu kümmern. 92 Prozent der zu Hause gepflegten Personen erhalten regelmäßig Unterstützung durch ihre Angehörigen. 64 Prozent dieser Arbeiten werden ausschließlich durch private Pflege abgedeckt und 28 Prozent durch das private und professionelle Umfeld.

alte-menschenDiese Aufgaben werden in Zukunft gewaltig anwachsen. Denn mit zunehmendem Alter wächst das Risiko einer Demenzerkrankung, also eines schleichenden Verlustes der Orientierungsfähigkeit, die bis hin zur völligen Aufgabe der eigenen Identität reicht. Dies erfordert mit fortschreitendem Stadium eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch einen Angehörigen und/oder durch professionelle Hilfe. Niemand kann dies wirklich allein bewältigen, jedenfalls nicht, ohne in absehbarer Zeit selbst zum Pflegefall zu werden. Doch nicht nur der Verlust der Gesundheit steht für die pflegenden Angehörigen auf dem Spiel, sondern auch der Verlust der beruflichen Existenz – was mehr ist, als nur den Broterwerb zu verlieren. Neben Ehepartnern, die zumeist die .Altersgrenze für den Rentenbezug schon erreicht haben, ist es besonders für Töchter und Söhne oder Enkel, die mitten im Leben stehen, oft nur dann möglich, Pflegeverantwortung zu übernehmen, wenn sie ihre Arbeit zumindest übergangsweise völlig aufgeben. Bei temporärer Aufgabe des Berufs besteht jedoch ein hohes Risiko, nicht wieder ohne Nachteile zurückkehren zu können oder gar ganz aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu müssen. Pflege, die ohnehin mit großen Belastungen verbunden ist, darf weder in gesundheitlicher noch in beruflicher Hinsicht dazu führen, dass diejenigen, die sie übernehmen, damit stillschweigend an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Es wird immer deutlicher, dass häusliche Pflege als das am häufigsten anzutreffende Pflegemodell nur dann eine Zukunft hat, wenn viele Hände zupacken, wenn also ein Netzwerk aus vielen ganz unterschiedlichen Helferinnen und Helfern entstanden ist, auf das die Angehörigen sich verlassen können. Dank der vor mehr als einem Jahrzehnt eingeführten Pflegeversicherung steht heute Menschen, deren Pflegebedürftigkeit anerkannt ist, eine finanzielle Unterstützung zu. Diese kann entweder als Geldleistung für die Person, die die Pflege hauptsächlich leistet, in Anspruch genommen oder als Sachleistung zur Finanzierung eines Pflegedienstes verwendet werden. In den meisten Fällen wird ein Pflege-Mix praktiziert, der neben dem Pflegedienst auch die Unterstützung durch einen oder mehrere Angehörige einschließt. Hinzu tritt die Hilfe von Freunden, Nachbarn und Ehrenamtlichen, also Menschen, die nicht durch verwandtschaftliche Beziehung oder berufliche Aufgaben mit dem hilfsbedürftigen Menschen verbunden sind. Aber auch alle anderen denkbaren Varianten finden sich in der heutigen Praxis. Selbst die Zurückweisung jeglicher Hilfsangebote kommt gar nicht selten vor. So wird es nicht immer gern gesehen, wenn fremde Personen ins Haus kommen und die über Jahrzehnte gewohnte Ordnung des Alltags durcheinander bringen. Ein Argument lautet: Der Pflegedienst würde mehr Alltagsorganisation verlangen, komplizierte Zeitprobleme schaffen und damit mehr Alltagsstress hervorrufen, als tatsächlich helfen. Kritisiert werden von den betroffenen Familien auch die Unpünktlichkeit und die hohe personelle Fluktuation professioneller Pflegedienste. Wie man an den Reportagen sehr gut sehen kann, sind die geschilderten Pflegesituationen komplexe und störanfällige Gebilde. Sie müssen immer wieder den Bedürfnissen der hilfebedürftigen Menschen angepasst werden, sie müssen aber auch den Veränderungen im Leben von Angehörigen, Nachbarn, Freunden und Ehrenamtlern Rechnung tragen und auf die zeitlichen und personellen Vorgaben der professionellen Pflegedienste reagieren.

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